Jede Woche ein Buch. Die Erfahrung lehrt: Eine Woche hat hier 14 Tage. (Und ich hänge mit der verbalen Rückschau immer noch ganz schön hinterher.) Rückblick #5
1982 schrieb Haruki Murakami Wilde Schafsjagd, 1991 wurde das Buch ins Deutsche übersetzt, zwanzig Jahre später wird es aus einer Entrümpelungsaktion gerettet und ich beginne, zu lesen. Schnell zu lesen.
Wer mit Murakamis Schaffen halbwegs vertraut ist, kennt die Komponenten Jazz, Bars, schöne Mädchen und stumme, melancholische Gedanken über ziemlich durchschnittliches Dasein. Nicht jeder erhält in Murakamis Geschichten auch einen Namen. Es regnet viel und ausdauernd ins Grau der Zivilisation. Mit wenigen Sätzen zeichnet der Autor die Stimmung eines Landes zwischen Tradition und Anonymität der Moderne.
„Fahrgäste, verbunden durch dicke Bande aus Desinteresse und Langeweile. // Sein Gesicht war so ausdruckslos, dass er jederzeit unmaskiert einen Bankraub hätte begehen können. // Werbetafeln am Straßenrand verkünden ohne Unterlass Nachrichten an nichts und niemanden.“
Und trotz sprödem Personal und scheinbarer Ereignislosigkeit gelingt es Murakami auch in Wilde Schafsjagd, ein surreales, rätselhaftes Ambiente zu gestalten – nicht zuletzt weil sich in diesem Roman allerhand Menschen auf die Suche nach einem Schaf mit Stern auf dem Rücken machen. Das Schaf nämlich sucht sich einen Menschen als Wirt, verleiht ihm Macht und Reichtum, verhilft zum Aufbau eines Imperiums. Und daran müssten doch nun wirklich alle interessiert sein. Das ist alles ganz schön absurd, wird aber durch die Hauptprotagonisten, ein Mädchen mit den schönsten Ohren (!) der Welt und einen Werbefachmann, durch deren offenkundig mittelmäßiges Leben ausbalanciert. Man begleitet die beiden auf der Schafsjagd, kommt ihnen dabei aber kaum näher. Und langsam durchflog von links nach rechts ein Jumbo den Fensterausschnitt. Zwischen den Fragen nach dem „Was erwarte ich vom Leben?“ und „Was erwartet die Welt eigentlich von mir?“, werden noch schnell gescheiterte Beziehungen seziert. Das klingt ein bisschen, als ob mich die Geschichte gelangweilt hätte. Das Gegenteil ist der Fall. Sie entwickelt einen Sog, fasziniert auf unerklärliche Weise, steckt voller leisem Zynismus und ganz wunderbarer Sätze. Man sollte eben nicht alle Ungereimtheiten des Lebens hinterfragen.
„Ob ich das Loch in einem Doughnut als bloßen leeren Raum oder als eigenständige Existenz begreife, ist ein rein metaphysisches Problem – am Geschmack des Doughnuts ändert es nicht das Geringste.“