Jede Woche ein Buch. Die Erfahrung lehrt: Eine Woche hat hier 14 Tage. (Und ich hänge mit der verbalen Rückschau ganz schön hinterher.) Rückblick #4
586 Seiten. Immer wieder bin ich um sie herumgeschlichen, immer wieder sah ich sie auf Bestsellerlisten und immer wieder schreckte mich der thematische Rahmen „Zweiter Weltkrieg, Judenverfolgung und die Geschichte eines neunjährigen Mädchens, das Bücher stiehlt“ ab. Weihnachten 2010 bekam ich „Die Bücherdiebin“ geschenkt und las es kurz darauf in zweieinhalb Tagen. Ich las vom Elendsalltag im Krieg und trotzigen Glücksmomenten, von einfachen Menschen mit sehr großem Herz.
Liesel Memingers kleiner Bruder stirbt, als sie zu Pflegeeltern gebracht wird. Bei der Beerdigung verliert der Totengräber ein Buch, Liesel nimmt es an sich, obwohl sie nicht lesen kann. Das aber bringt ihr in vielen wachen Nächten Hans Hubermann, der Ziehvater, in ihrem neuen Zuhause in der Himmelstrasse bei. Rosa Hubermann, die Liesel immer nur Saumensch schimpft, weil das ihr Ausdruck von Liebe ist und Nachbarsjunge Rudi Steiner, der Raufkopf, beste Freund und Verehrer von Liesel spielen in diesem Buch Nebenrollen, die in jeder Verfilmung sehr weise besetzt werden sollten. Denn alle sind für die Entwicklung dieser Geschichte, sind für Liesel so unendlich wichtig. („Was ist schlimmer als ein Junge, der dich hasst? Ein Junge, der dich liebt.“) Auch Max, der Jude, der im Keller versteckt wird und dessen erbärmlicher Zustand und Verzweiflung beinahe aus den Seiten tropfen, zieht den Leser immer tiefer in den Sog der Geschichte. („Sie gingen nach Dachau, um sich zu konzentrieren.“) Und dennoch werden in Die Bücherdiebin die Ereignisse mit beinahe leichten, zynischen Bildern erzählt. („Wisst ihr, ich frage mich wirklich, ob nicht irgendwann irgendwo beim Hitlergruß jemand einmal ein Auge verloren hat… Man musste doch bloß zur falschen Zeit in die falsche Richtung schauen oder zu nah vor jemandem stehen.“) Der Tod jedenfalls beobachtet und bewundert Liesel – und verschont sie. („Welche grenzenlose Boshaftigkeit in der Gnade des Überlebens liegen kann!“)
Jedes Kapitel beginnt mit einer kurzen Beschreibung der Geschehnisse. Das wirkt anfangs befremdlich, schließlich wird man dadurch über deren Verlauf vorgewarnt. Überraschung: Man ist nicht weniger entsetzt. Markus Zusak, Autor des Romans, schreibt in einer Mischung aus poetischen Bildern und krasser Direktheit. Kurze Hauptsätze reichten, um mich komplett aus der Fassung zu bringen. Aufwühlend UND tröstlich – das ist dann wohl die Macht der Worte, die auch Liesel durch die Zeit hilft. Leider habe ich bei der Lektüre keine Markierungen an besonders beeindruckenden Sätzen notiert. Ich werde das Buch also noch einmal lesen müssen, denn Liesel Meminger stiehlt nicht nur Bücher, sie stiehlt auch dein Herz.